Es mussten sogar zusätzliche Stühle herangeschafft werden, so starker Andrang herrschte am 20. Juni beim jährlichen Treff des VKE-Kosmetikverbandes. Der veränderte Ablauf – erst Mitgliederversammlung und Vorträge, dann die Party – mag einen Teil zum großen Interesse beigetragen haben. Aber vor allem die Herausforderungen der Branche – Multichannel- Strategien, emotionale Markenführung, Zukunftsperspektiven – dürften es gewesen sein, die 170 Besucher zum traditionellen VKE-Treff nach Berlin lockten.
Unter dem etwas sperrigen, aber die vielfältigen Herausforderungen gerade der Digitalisierung gut abbildenden Motto 'Handel & Industrie @ Marketing – Strategien 2015' wurden Antworten auf die Frage gesucht, wie sich das wandelnde Konsum- und Kommunikationsverhalten auf den Markt der selektiven Kosmetik auswirkt.
Innenleben statt Oberfläche
Trotz guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen: Die Absätze im Premium-Handel sind rückläufig. »Ja, wir haben es mit hybriden Konsumenten zu tun, die schwer zu (be-)greifen sind und auf deren Bedürfnisse Industrie und Handel Antworten finden müssen«, umriss VKE-Geschäftsführer Martin Ruppmann die Herausforderungen in seiner Begrüßung. Zum Kopf in den Sand stecken freilich gibt es keinen Grund: »Der Trend zum qualitätsbewussten Einkauf steigt«, so Ruppmann.
In eine ähnlich optimistische Richtung gingen auch die einleitenden Worte von Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar, der die Veranstaltung moderierte. Deutschland stehe insgesamt gut da und befinde sich in einer Phase historischen Wohlstands. Auch der Konsum steige endlich wieder. Allerdings seien die Kunden »treulose Tomaten« geworden, weshalb die Manager heute nicht nur einen, sondern viele heilige Grale finden müssten, um die Konsumenten richtig zu erreichen.
Doch wie soll das gelingen? »Es muss darum gehen, Echtheit mit Ethik zu verbinden«, so die These der Philosophin Dr. Rebekka Reinhard. In unserer von Bildern geprägten Social Media-Welt drehe sich alles um Plappern, Posen und Promoten. Doch das werde nicht – auch nicht durch die derzeit so gehypten Influencer – zu nachhaltigem Erfolg führen, solange unternehmerisches Handeln nicht mit ethischem Handeln verbunden werde. Denn nicht allein das Oberflächliche zähle, schon gar nicht bei Marken, sondern ihr Innenleben, ihre immateriellen Werte. Das Ziel müsse deshalb gerade in der Kosmetikindustrie lauten, eine Synthese von Ästhetik und Ethik zu erreichen. Nicht mit Porno-Kitsch könne man beim Konsumenten punkten, vielmehr werde sich der geheimnisumwitterte, deutlich weniger explizite Eros langfristig durchsetzen.
Auf Schlagworte verdichtet besteht Reinhards philosophische Gebrauchsanweisung für die Kosmetikbranche aus vier Handlungsaufforderungen: 1. Zeige Haltung! 2. Setze auf Eros! 3. Verbinde Tradition und Innovation! 4. Lebe gefährlich!
Wobei gerade der letzte Punkt hierzulande nicht eben zur klassischen Stärke gehört, wie Reinhard einräumt: »Der Geist des Scheiterns ist in Deutschland eher nicht verbreitet. Dabei sollten wir stärker im Geiste der Stoiker leben nach deren Motto: Das Leben ist ein Experiment.« Heute seien gerade die sozialen Medien die Spielplätze, auf denen Marken ihre Echtheit und Authentizität immer wieder neu testen könnten, denn, so das Fazit der Münchner Philosophin und Autorin: »In den sozialen Medien geht es nicht um Perfektion, sondern um Menschlichkeit.«
Vom Point of Sale zum Point of Interest
Nach diesen grundsätzlichen, stark philosophisch getränkten Überlegungen versuchte sich Michael Radomski, Geschäftsführer des Düsseldorfer Telekommunikationsdienstleisters Uplink Network, an konkreten Handlungsempfehlungen, wie die Kosmetikbranche den Herausforderungen von Digitalisierung und veränderten Kaufgewohnheiten begegnen sollte. Wobei sich Kosmetik, anders als etwa Bankleistungen, nur schwer virtualisieren lässt. Deshalb werde sich die Branche vermutlich nicht so stark ins Digitale verlagern wie etwa die Elektroindustrie, glaubt Radomski. Für die Kosmetikhersteller gelte es deshalb umso mehr, dass sie sich bei ihren Internetstrategien auf ihre eigenen Stärken konzentrieren und dann schauen sollten, wie sich diese durch Online weiter verstärken ließen. Gefragt sei Strategie statt operativer Hektik: »Folgen Sie nicht einfach irgendwelchen Trends, sondern der eigenen Strategie!«
Auch der Point of Sale werde sich verändern, und zwar hin zu einem Point of Interest: Der reine Verkauf werde im Einzelhandel stark an Bedeutung verlieren, weil er in Richtung Online wandere. Stattdessen kämen auf den Handel verstärkt andere Aufgaben hinzu, vor allem Beratungsleistungen und Kundenbindung. Auch werde der Fokus künftig besonders auf dem Customer Lifestyle liegen: »Nicht der Abverkauf, sondern der Kunde wird im Zentrum stehen«, so Radomski.
Symbole als Sprache der Emotionen
Bei aller Schnelligkeit unserer heutigen Zeit: Das Thema Schönheit ist ein Dauerbrenner, der die Menschheit seit Jahrhunderten begleitet und konstant wichtig geblieben ist. Was sich freilich ändert, sind die Moden. Doch was bleibt stabil, auch wenn sich die Moden ändern? Die emotionalen Grundbedürfnisse, lautet die Antwort von Thomas Hoch, Head of Brand Strategy bei Kantar TNS. »Emotionen machen uns das Leben leichter, sie helfen uns, Dinge zu rationalisieren«, sagte er in seinem Vortrag.
Wobei es nicht die eine Emotion gebe, vielmehr verfüge jeder Konsument über ein Spektrum an situationsabhängigen Bedürfnissen. Das jedoch dürfe Marken nicht dazu verleiten, ein möglichst breites Feld an Gefühlslagen und Bedürfnissen abdecken zu wollen – sie müssten vielmehr einen klaren Standpunkt einnehmen. »Viele Marken wissen gar nicht genau, wo sie stehen. Sie wollen alle ansprechen. Das aber ist nicht möglich.« Deshalb gehe es primär darum, diejenigen der Konsumenten zu erreichen, mit denen eine bedeutungsvolle Kommunikation möglich sei.
Eine besonders wichtige Rolle nähmen dabei Symbole ein, gerade im Kosmetikmarkt: »Symbole als Sprache der Emotionen sind im Kern immer gleich – aber sie gehen mit der Zeit, um relevant zu sein. Das ist wahre Authentizität.« Markenkonsistenz bedeute dabei, diese Symbolik über alle Touchpoints beizubehalten: »Wenn es Marken jedoch versäumen, sich um emotionale Botschaften zu kümmern, dann regiert nur noch der Preis«, so die Botschaft von Hoch.
Orientierung in einem komplexen Umfeld geben
Die Auswirkungen der Digitalisierung für die Kosmetikindustrie beleuchtete zum Abschluss des Tagesprogramms Junior-Professor Dr. Erik Maier von der HHL Leipzig Graduate School of Management. Die Kosmetikbranche befinde sich in einem komplexen Umfeld, das durch eine Vielzahl neuer Akteure und Verkaufskanäle sowie deutlicher Einflussverschiebungen gekennzeichnet sei.
Gerade in diesem vielschichtigen, immer stärker digital geprägten Umfeld komme der Orientierungsfunktion von Marken eine besondere Bedeutung zu. Diese leitende Aufgabe der Marke verspreche Vorteile für Produzenten und Händler und könne über zahlreiche Kanäle gestaltet werden, also nicht nur über die klassischen Werbekanäle wie TV und Print.
Auch könne man mit Hilfe neuer Mittel, Formate und Kanäle die Marke durchaus unabhängig von Google stärken und Bekanntheit aufbauen – wenn denn alle Maßnahmen integriert erfolgen. Kurzum: »In einem komplexen Umfeld geben Marken Orientierung und können neue Mittel zu ihrer Stärkung nutzen«, so das Fazit des Junior-Professors.
Und gerade diesen Aufgaben scheinen die Marken der Kosmetikbranche gut gewachsen zu sein. Denn trotz unbestreitbarer Herausforderungen wie etwa Rabattschlachten und den Graumärkten, lobte Capital- Chefredakteur Horst von Buttlar zum Abschluss des Konferenzprogramms die Kosmetikindustrie als eine Branche mit starken Marken.
Mit diesen Worten konnten die Besucher gestärkt vom Steigenberger Hotel am Kanzleramt zur Abendveranstaltung im Deutschen Technikmuseum wechseln, wo neben einem langen Party-Abend auch Professor Micael Dahlén von der Stockholm School of Economics als Dinner-Speech-Redner auf sie wartete.
Wie sich ein wandelndes Konsum- und Kommunikationsverhalten auf den Markt der selektiven Kosmetik auswirkt, stand im Zentrum des VKE-Treffs
Torsten Schöwing